Pilgerfahrt ins Heilige Land
Der Umstand, dass Monsignore Gerhard Hettler aus Passau der Einladung folgte, als geistlicher Leiter und Spiritus Rector mit uns zu reisen, verlieh der Unternehmung ihren spirituellen Gehalt. So erlebten wir neben den Besichtigungen der Heiligen Stätten unerwartet auch Tag für Tag eine innere Einkehr. Msgr. Hettler gestaltete die Reihe seiner Predigten in Messen und Wortgottesdiensten nicht nur als jeweiligen Höhepunkt des Tages, sondern er verband sie als zusammenhängende Unterrichtung und geistige Anregung zu einem geschlossenen Zyklus.
Nachdem die Reisegruppe in Tel Aviv zusammengetroffen war, ging die Busfahrt zum See Genezareth ins Kibbuz-Hotel Nof Ginosar, einer großzügigen Anlage, die nicht nur eine Unterbringung darstellt, sondern in geräumigen Foyers Platz für die abendlichen Gespräche und den Ausklang des Tages bot.
Die Besichtigungen der ja zugleich eine Studienreise darstellenden Unternehmung begannen am nächsten Tag mit der Fahrt zur Ruine der Deutschordensburg Monfort, deren imposante Reste an einem Berghang mit zwei spitzbogig erhaltenen Gewölben ganz in sattgrünen Wald gebettet von einer Aussichtsterrasse zu sehen sind. Weiter ging es in die Hafenstadt Akko, wo die zu Dreivierteln ausgegrabenen monumentalen Reste der Kreuzritterburg als Zeugnis der Architektur im Übergang von Romanik zur Gotik, vor allem aber der Ordensgeschichte wegen als eines der wichtigsten Reiseziele besucht wurden. Heute ist die Anlage teilweise von der muslimischen Stadt überbaut. Nach einem Blick auf und in die weiße Moschee ging es nach Haifa auf den Karmel, von wo wir den Blick über die märchenhaft gepflegten Bahai-Gärten, die Hafenstadt und weithin über das Meer genossen. In einer der Kapellen des Karmeliter-Kosters Stella Maris mit der Elias-Grotte feierten wir die hl. Messe.
Montags begann die Messe bereits früh auf dem Berg der Seligpreisungen in einem Olivenhain unter freiem Himmel. Dabei wurden in die Fürbitten auf Wunsch einiger Teilnehmer Person und Anliegen unseres Ehrenritters Erzbischof Stefan von Hamburg einbezogen. Dann folgte der Besuch weiterer Stätten aus den Evangelien: Nach Tabgha zur Brotvermehrungskirche und zur Primatskapelle, dem Ort, an dem Petrus berufen wurde. Msgr. Hettler konnte die Stelle zeigen, von der aus Jesus aus einem Boot predigte und wo die Zuhörer am Ufer der geographischen Formation wegen jedes auch nur geflüsterte Wort hören konnten – und heute noch könnten. In Kapharnaum sahen wir das Haus des Petrus mit der nicht unbedingt glücklichen Kapellen-Überbauung und die alte Synagoge. Wir wurden daran erinnert, dass Jesus hier in seiner Heimat Galilaea nicht willkommen war und es für immer mied. Auf dem ehemals syrischen Ufer finden sich in Kursi Reste antiker Bauten. Hier heilte Christus den Besessenen, indem er die „Legion“ böser Geister in eine Schweinerotte trieb, die dann im See ertrank. Eine Fahrt über den See Genezareth, bei leicht diesigem Himmel und gänzlich glatter Wasseroberfläche, brachte uns zum Kibbuz Nof Ginosar zurück.
Am Dienstag erlebten wir das gänzlich übervölkerte Nazareth, wo der Kinderreichtum und die Zuwanderung der Muslime die Stadt verwandelt haben. Glücklicherweise ist davon in der großen Verkündigungsbasilika nichts zu spüren. Es ist der fünfte Bau an dieser Stelle, 1969 geweiht. Sein Architekt Giovanni Muzio gestaltete viele der Kirchenbauten im Heiligen Land, da Erdbeben und mutwillige Verwüstung die Vorgängerbauten zerstörten. Die Verkündigungsgrotte liegt in der Tiefe hinter der Altarmensa. Höher am Hang Nazareths gelegen, zeigt sich das Innere der orthodoxen Verkündigungskirche als vollständig erhaltener, mit Ikonen, Silberampeln und Holzschnitzereien des 17. Jahrhunderts reich geschmückter Raum von mystischer, geradezu zeitentrückter Stimmung.
Die serpentinenreiche Auffahrt auf den Berg Tabor mit seiner von italienischen Franziskanern betreuten Verklärungsbasilika führte dann in Licht und Luft. In der auch dort von G. Muzio gebauten, in der Ausstattung an den Beuroner Stil erinnernden Kirche feierten wir am in die Tiefe der Apsis platzierten Altar die Messe, nicht ganz so abgeschieden und ungestört wie meist sonst.
Am Mittwoch hieß es vom See Genezareth Abschied nehmen. Durch das Flusstal fahrend erreichten wir die Taufstelle am Jordan. War die allgemeine Stimmung innerhalb der Gruppe schon ohnehin gelöst und entspannt, so kam es an diesem Platz frommen Gedenkens unvermeidlich zu erheiternden Szenen, nicht nur bei der Beobachtung der zahlreichen Touristen, sondern innerhalb unserer Gesellschaft selbst. Jeder versuchte, durch Schöpfen oder in direktem Kontakt mit dem übrigens rasch und erdfarben bräunlich dahinströmendem Wasser zu kommen. Der besinnliche Wortgottesdienst konnte nur ein wenig abseits von der Taufstelle stattfinden.
Anschließend ging es nach Jericho und mit der Seilbahn zum Kloster Saradarion, das an der Stelle steht, wo Satan Jesus dreimal vergeblich versuchte. Die an Höhlen reichen Wände des Berghangs waren unsere erste Begegnung mit der Wüste, die wir dann auf dem Weg nach Jerusalem am Wadi Kelt mit dem spektakulär am Felsen wie aufgehängt erscheinenden Georgskloster erlebten. Ein Bild aus dem Alten Testament sind die Schaf- und Ziegenherden, die, von auf Eseln reitenden Hirten geführt, das karg wachsende Grün aus dem Schottergrund rupfen.
Und dann kam Jerusalem! Im großzügig angelegten Notre Dame-Center untergebracht, konnten wir am ersten Abend dort von der Dachterrasse wie ein Versprechen für die kommenden Tage den Blick auf unser eigentliches Ziel werfen.
Der Weg durch Jerusalem begann mit dem Besuch der Klagemauer, wo wir der Zeremonie der Bar Mitzwa beiwohnen konnten. Dann fuhren wir auf den Ölberg, blickten auf die Stadt mit dem Felsendom in der Mitte, sahen den Garten Gethsemani mit seiner Basilika und feierten in der Kirche „Dominus flevit“ eine hl. Messe, an der Stelle, wo Jesus um die nahe Zerstörung Jerusalems weinte. Der anschließende Besuch des Hauses Mariens in Jerusalem, dessen Ruine ein wenig wehmütig stimmt, denn das ist alles, was von unserem Ordenshaus in der Stadt erhalten ist, war Beginn unseres Weges zu St. Anna mit dem Bethesda-Teich, durch die Via dolorosa, zu den Stätten der Geißelung, des Ecce Homo zum Höhepunkt des Weges, zur Grabeskirche. Diesem Heiligtum mit Golgatha und der Grabeshöhle, widmeten wir uns als Pilger aber auch als Betrachter seiner vielschichtigen Bausubstanz und der Beschäftigung mit seiner Geschichte. Noch vor Beginn der Karwoche angereist, blieb uns ausreichend Raum, trotz der Menschenmenge darin einen unvergänglichen Eindruck des Platzes von Tod und Auferstehung zu gewinnen.
Der nächste Morgen sah uns in aller Frühe bei der Kreuzwegandacht in der Via dolorosa. Einer der erfülltesten Tage war der Besuch Bethlehems. Von den Grotten, wo den Hirten der Engel erschien, zogen wir ihnen gleich in die Stadt zur Geburtskirche. Diese älteste christliche Kirche des Heiligen Landes, seit dem 4. Jahrhundert an dieser Stelle, in der Bausubstanz weitgehend aus dem 6. Jahrhundert stammend und mit Mosaiken und Malereien aus der Kreuzfahrerzeit geschmückt, ist eine Augenweide. Das festungsartige Äußere öffnet sich nun frisch restauriert in überraschender Schönheit. Wir alle berührten in der enggedrängt besuchten Grotte den silbernen Stern, besuchten den Kreuzgang und feierten in der dortigen Helena-Kapelle gänzlich ungestört die Messe, wie immer – das sei nun endlich erwähnt – im Singen von einer dreiköpfigen Schola aus der Gruppe eingeleitet und gestützt. Msgr. Hettler zeigte uns das ursprüngliche Grab des Kirchenvaters Hieronymus, dessen sterbliche Reste nun längst in Rom in S. Maria Maggiore ruhen.
Am Abend stimmte uns Johanna von Siemens mit ihrem Vortrag über das Turiner Grabtuch in die Karwoche ein. Im Notre Dame-Center, unserem Hotel, war dazu eine vorzüglich präsentierte Ausstellung mit einem Faksimile des Tuches zu sehen.
Am Sabbat brachen wir zum Toten Meer auf. Erste Station auf dem Weg waren die Höhlen von Qumran, den Fundstätten der vor den Römern versteckten Schriftrollen, die heute im Israel-Museum in Jerusalem verwahrt werden. Das eindrucksvolle, tief unter der Meeresspiegelhöhe liegende Land mit dem Toten Meer ist schon ein Naturerlebnis eigener Art, die Badegelegenheit im heilkräftigen Wasser nutzten aber nicht alle von uns, vergnüglich war das allerdings für die gesamte Gruppe. Der ganze Ernst der Geschichte Israels begegnete uns danach auf der hochgelegenen Festung Massada, die wir mit der Kabelbahn erreichten. Hoch über der Wüste ließ Herodes der Große eine palastartige Anlage errichten, die die letzten Rebellen gegen die Römer um 70 n.Chr. zum Rückzug nutzten. Mit Wasser und Nahrung versorgt, wagten sie den Angriffen zu trotzen, wurden aber doch erobert und wählten den Freitod, um nicht den Feinden in die Hände zu fallen. Die grandiose, auch in ihren Resten beeindruckende Anlage ist heute ein Heiligtum des Staates Israel, nicht nur als Denkmal, sondern vor allem als Mahnmal. Ein zweites Massada soll es nicht geben. Hier versteht der Besucher Israels viel von diesem Land und seiner Sorge um seinen Erhalt.
Wie verlässlich heute Israel auf Schutz und Sicherheit seiner Bevölkerung und seiner Besucher bedacht ist, erfuhren wir durch die Präsenz der meist jugendlichen Soldaten – Männer und Frauen, die freundlich, aber wachsam neben den Überwachungskameras dafür sorgen, dass man sich überall angstfrei und unbefangen bewegen kann.
Ein Bild idyllischen Friedens dagegen offenbarte sich uns unmittelbar nach dem Besuch von Massada bei der Messe in einer kleinen Oase auf einem Wüstenhügel: Während des Hochgebetes zog wenige Meter hinter dem Rücken des Zelebranten, von ihm nicht einmal wahrgenommen, ein Rudel junger Steinböcke den Hang hinauf.
In aller Frühe begann der Palmsonntag mit der Statio vor dem Hotel, mit der Palmweihe und Morgenmesse. Anschließend suchte sich jeder sein eigenes Ziel, ging in die Altstadt oder ins Israel Museum mit den alten Schriften und dem großartigen Modell der antiken Tempelanlage. Auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wurde aufgesucht.
Am Abschiedstag war für die Messe und den Reisesegen die Kirche von Abu Gosh ausgewählt, die die Kreuzfahrer als den biblischen Ort Emmaus definiert haben. Bei den liebenswürdigen französischen Benediktinern konnten wir noch Olivenholz-Schnitzereien als Andenken an unseren Aufenthalt finden und erwerben.
Nach einem Spaziergang durch den Hafen und das alte Jaffa hieß es Abschied nehmen. Wir blicken auf eine lange nachwirkende Reise in einer harmonisch zusammenspielenden Gruppe zurück, deren orts- und geschichtskundige Führung durch eine in Israel lebende Deutsche nicht besser hätte gelingen können. Dankbar denken wir an unseren Monsignore Hettler zurück und ebenso dankbar sind wir Arbogast und Renate von Franckenstein verbunden, die alles Geschehen in unerschütter-licher Ruhe und vor allem mit einer Liebenswürdigkeit begleiteten, die sich der Gruppe mitteilte und damit die glückliche Atmosphäre schuf, in der wir ins Heilige Land pilgern durften.
Dr. Bernhard Heitmann FamOT