Advents-Conveniat der Komturei „An Weser und Ems“ in Münster
Der Nachmittag begann mit einem Stehkaffee, bei dem schon die allgemeine Freude zum Ausdruck kam, sich zu diesem Conveniat am Jahresende gesund wiederzusehen. Anschließend folgte der Vortrag von Prof. Dr. Thomas Großbölting. Lehrte er vor zwei Jahren noch als Ordinarius für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Münster, hatte er inzwischen einen Ruf an die Universität Hamburg angenommen und zudem die Leitung der Forschungsstelle für Zeitgeschichte übernommen. Mit der Kirche im Bistum Münster ist er auch insofern näher vertraut, als er die Kommission leitet, die den Missbrauch aufarbeitet. In dem Vortrag ging es aber um ein anderes Thema: „Christentum, katholische Kirche und Katholizismus: Trends und Dynamiken im 20. und 21. Jahrhundert“. Diesen Themenkreis hatte Prof. Großbölting ausführlich schon vor einigen Jahren abgehandelt in seinem Buch „Der verlorene Himmel. Glaube in Deutschland seit 1945“.
Seinen Vortrag eröffnete er mit dem Vergleich von zwei Diagrammen aus den Jahren 1950 und 2016. Daraus leitete er zwei Kennzeichen ab: die Schnelligkeit im Wandel des religiösen Trends, in der Regel zwei Generationen, und die Feststellung, dass in Deutschland das religiöse Leben schrumpft, gleichzeitig aber die Tendenz zur Transzendenz steigt. Er sehe das 21. Jahrhundert als „Jahrhundert der Religion“; dies gelte für vier Kontinente, nicht jedoch für Europa. Danach gab Thomas Großbölting einen kleinen geschichtlichen Überblick über die religiöse Entwicklung in Deutschland 1880-2010. War die Bindung an die Kirche im Kaiserreich noch sehr groß, war es erst in der Zeit der Weimarer Republik möglich, dass Menschen aus der Kirche austraten. Zu den Gründen zählten vor allem, dass sie die Arbeiterschaft und die ‚Kriegstheologie‘ des Ersten Weltkriegs verlor. Im Dritten Reich wurde die Kirche durch das Konkordat zwischen Preußen und dem Vatikan zwar gestärkt, die katholischen Vereine und Verbände wurden jedoch bedrängt und geschwächt.
Die Jahre 1945-1949 bezeichnete Großbölting als religiösen Frühling: Die Kirchen hatten nach dem politischen Zusammenbruch als einzige noch Strukturen, sie wurden auch von den Besatzungsmächten gefragt. die Politiker setzten auf eine Rechristianisierung. Der Einfluss erstreckte sich bis in das Grundgesetz hinein, der Staat band die Kirchen ein. Als Antwort auf die interessante Frage, warum aus dem ‚religiösen Frühling‘ kein ‚religiöser Sommer‘ wurde, nannte Prof. Großbölting verschiedene Aspekte: Mädchen und junge Frauen akzeptieren nicht mehr die Rolle, die die (katholische) Kirche ihnen zuträgt, und nicht mehr die Antworten, die die Kirche auf die veränderte Sexualmoral gibt; ‚Mischehen‘ werden (gegen die Kirche) häufiger durchgeführt; ab 1968 gibt es ein ‚Schleifen‘ der Autoritäten; das 2. Vaticanum bringt zwar neue Formen des Glaubens, doch in Deutschland wird der Säkularisierungstrend nicht aufgehalten. Nach 1990 erhöhen sich die Austrittszahlen aus der Kirche deutlich. Zu den Gründen gehören vor allem das Ziel, Steuern zu sparen, und die Irritation über die ‚staatliche Präsentation der Amtskirche‘. Die Organisationsform der Kirche ist gut, die seelsorgerische Arbeit dagegen nicht. Thomas Großbölting resümierte in allgemeiner Form: Religiöse Gemeinschaften sind dann erfolgreich, wenn sie aktiv an Fragen und Probleme in der Gesellschaft anschließen und darauf eine Antwort geben wollen, und wenn sie klar machen, dass ihre Angebote aus einer Bildung an Transzendenz kommen. In diesem Punkte habe sich in der katholischen Kirche allerdings einiges auseinanderentwickelt.
Welch nachhaltigen Eindruck der Vortrag von Prof. Großbölting hinterlassen hatte, zeigten nicht nur die anschließende Diskussion, sondern die Gespräche beim abendlichen Beisammensein, das der Vesper und dem Abendessen folgte.
Der Samstag wurde eröffnet durch die gemeinsame Eucharistiefeier, die unser geistlicher Assistent Prälat Norbert Kleyboldt zelebrierte. Die Meditation, die danach folgte, stand unter dem Thema „Advent – Gott im Kommen? Geistliche Besinnung zum Advent“. Sie lag in den Händen von Dr. Ulrich Lüke, bis zu seiner Emeritierung Professor für Systematische Theologie an den RWTH Aachen. Er stellt zu Beginn Johannes den Täufer in den Blickpunkt; dieser stellt „die vielleicht ehrlichste und tiefgreifendste Frage des Advents, die Frage eines gläubigen Zweiflers oder eines zweifelnden Gläubigen; ‚Bist du, Jesus Christus, der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?‘“ Es ist die Frage eines Mannes, der am Rande der Wüste Juda lebt, der sich in einer existentiellen bedrängten Situation befindet. Johannes ist uns ein Beispiel, indem er mit seiner ganzen Existenz auf den kommenden Erlöser hingewiesen hat. Als Antwort auf die Frage des Johannes zitiert Jesus aus dem Alten Testament die Stelle (Jes. 35, 5f.), mit der Jesaja das Kommen des Messias ankündigt. Für den Täufer ist dies die klare Botschaft, auf die Heilszeichen des Messias zu schauen, für uns, für jeden einzelnen bedeutetet die Botschaft, am jeweiligen Platz „dazu beizutragen, dass (Tränen-)Blinde sehen, Lahme gehen, Taube hören, Stumme sprechen und Aussätzige rein werden“. Das ist gerade im Advent die Hoffnung auf die Heilung dieser Welt. Prof. Lüke legte dar, welche Folgen der „Geburtstag eines Menschen (hatte), der die Welt verändert hat und vollenden kann“. Jesus sei sowohl ein menschlicher Brückenbauer als auch ein kritischer Geist. Durch ihn, der mitten unter den Suchenden und Verzweifelten ist, „wird, wenn wir wollen, unser Erdenelend Himmelreich“.
Nach diesem gemeinschaftlichen Advents-Conveniat mit seinen vielfältigen Informationen und meditativen Impulsen machten sich alle wieder auf den Weg nach Hause, mit frohen Weihnachtswünschen und guten Hoffnungen für das Jahr 2022.
Dr. Jörgen Vogel FamOT
Komtur