Historische Forschungsergebnisse des Deutschen Ordens als ein Baustein zur Völkerverständigung – Interview mit Prof. Dr. Udo Arnold
Die Geschichte des Deutschen Ordens in den ostmitteleuropäischen Ländern ist ein politisch diffiziles Thema. Der wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte des Deutschen Ordens kommt daher große Bedeutung zu. Mittlerweile gehört er zu den am besten erforschten Ordensgemeinschaften in der katholischen Kirche, woran Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Udo Arnold wesentlichen Anteil hat. Er gibt die Reihe „Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens“ heraus, die in dem internationalen Forschungsprozess das zentrale Publikationsorgan ist. Deren Neuerscheinungen versendet die Wissenschaftliche Vereinigung für den Deutschen Orden an Universitäten, Hochschulen und Bibliotheken nach Ostmitteleuropa. Dies gelingt ihr auch mit Unterstützung von „Paten“, die sich bereiterklären, für drei oder auch fünf Jahre die Kosten von 150 Euro jährlich zu übernehmen. Prof. Dr. Arnold beantwortet nachfolgend Fragen im Kontext zu der Versandaktion. Gerne beantworten wir weitere Fragen bzw. informieren über die „Patenschaften“ unter Vorstand@Wivedo.de.
Frage: Wie kam es zu der Versandaktion?
Prof. Arnold: Aufgrund meiner seit den 70er Jahren zunehmenden Kontakte in die ehemaligen „Ostblockstaaten“, in denen der Deutsche Orden im Laufe von acht Jahrhunderten gewirkt und deren Entwicklung er zum Teil intensiv mitbestimmt hatte, erlebte ich ein zunehmendes Interesse von Institutionen und Personen an der Deutschordensforschung. Diese Forschung besaß zudem in der von mir seit 1968 herausgegebenen Buchreihe Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens ein Publikationsorgan von wachsender Bedeutung, da sich Deutschordensforschung immer mehr dort konzentrierte.
Aufgrund der Devisenprobleme jener östlichen Länder war der Zugang zu den Forschungsergebnissen ungemein erschwert. Da der gegenwärtige Deutsche Orden die Buchreihe bereits für den Druck subventionierte, kamen zusätzliche Aufwendungen zur Literaturversorgung der „Ostländer“ nicht in Betracht. Aus jenen Ländern stammten viele Flüchtlinge und Vertriebene, die in der Bundesrepublik Deutschland lebten. Ihre Interessen wurden bis 1969 von einem eigenen Ministerium, anschließend von einer Abteilung des Bundesministeriums des Innern vertreten. Als Vorsitzender der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung hatte ich dorthin Kontakte. Meine Anfrage auf Unterstützung der Ordensforschung in jenen Ländern wurde wohlwollend aufgenommen, so dass nunmehr regelmäßig die Neuerscheinungen der Buchreihe an entsprechende Interessenten verschickt werden konnten. Aus dem Jahr 1996 liegt mir beispielsweise eine Versandliste mit 84 Beziehern aus Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Estland, Lettland, Litauen vor. Die Abteilung des Innenministeriums wurde 1999 aufgelöst; seitdem gibt es den/die Beauftragte(n) der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien im Staatssekretärsrang, unterstellt dem Kanzleramt. In jenem Jahr erfolgte der letzte Versand mit reduzierten 45 Exemplaren, anschließend wurde die Aktion ohne Begründung eingestellt.
Daraufhin hat die Wissenschaftliche Vereinigung für den Deutschen Orden 2007 den Versand als eine ihrer wesentlichen Aufgaben angenommen und nach neuerlicher Abfrage aller bisheriger Empfängeranschriften den Versand von 50 Exemplaren nicht nur für die Neuerscheinungen, sondern auch für die durch den Entscheid der Bundesregierung entstandene Lücke übernommen.
Frage: Wie entstanden die Kontakte?
Prof. Arnold: Die Kontaktmöglichkeit wurde durch die Ostpolitik der Bundesregierung mit den sogenannten Ostverträgen des Jahres 1970 erheblich erleichtert. Hinzu kamen speziell für Polen die seit 1972 angelaufenen Schulbuchgespräche. 1974 fand in diesem Rahmen die erste Spezialkonferenz zur Geschichte des Deutschen Ordens statt, weil dies das umstrittenste Thema zwischen beiden Ländern war. Ich konnte als Vorsitzender der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, in deren „Zuständigkeit“ das Thema fiel, daran teilnehmen. Auf dieser Basis entstanden persönliche Kontakte, die die Forschungsförderung mithilfe der Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens ermöglichten.
Frage: Wie viele Empfänger gibt es?
Prof. Arnold: Derzeit sind es 51.
Frage: Wie werden die Bücher angenommen?
Prof. Arnold: Die Empfänger sind nach wie vor sehr dankbar, was nach der letzten Aussendung in einer ganzen Reihe von Zuschriften sich ausdrückte. Das Historische Seminar der Universität Debrecen – neu aufgenommen in die Liste und mit allen noch lieferbaren Bänden bedacht – hat dazu eigens einen Internetauftritt organisiert. Das ist umso verständlicher, als es neben der Nationalbibliothek die einzige ungarische Bibliothek ist, die derzeit über die Buchreihe verfügt.
Frage: Was hat die Aktion bewirkt?
Prof. Arnold: Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Generell lässt sich sagen, dass seitdem das Interesse an der Deutschordensforschung über die bedachten Universitäten und Professoren zugenommen hat, nicht zuletzt, weil man sich in jenen Ländern in einen gesamteuropäischen Forschungsverbund einfügen konnte. Das wird auch sichtbar an der 1981 erfolgten Gründung der jeweils im Zweijahresrhythmus tagenden internationalen Konferenzserie Ordines militares an der Universität Toruń (Thorn) / Polen und der – durch das Kriegsrecht in Polen verzögerten – 1985 in Wien erfolgten Gründung der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens. Damit ist ein grenzübergreifendes Netzwerk entstanden, dem viele Institutionen und Personen aus dem Kreis der Empfänger der Buchreihe angehören. In der nunmehr gemeinsamen und persönlich geführten Diskussion der Deutschordensgeschichte werden neue Erkenntnisse vermittelt und alte Vorurteile abgebaut. Dabei ist wesentlich, dass daran inzwischen die dritte Wissenschaftlergeneration beteiligt ist, die Ansätze also wie selbstverständlich weitergeführt werden. Es ist Normalität geworden, die allerdings der weiteren Unterstützung bedarf – eine einseitige Einstellung wie 1999 sollte es nicht wieder geben.
Ein Höhepunkt dieser Entwicklung war – wenngleich nicht unmittelbar durch den Buchversand, aber doch als mittelbare Folgewirkung des Wandels anzusehen – die Einladung des polnischen Präsidenten anlässlich des Gedenkens an die von Polen-Litauen gewonnene Schlacht bei Tannenberg/Grunwald 1410 an den damaligen Hochmeister des Deutschen Ordens Dr. Bruno Platter. Die Fotos des Hochmeisters während seiner Ansprache im weißen Hochmeistermantel neben Staatspräsident Komorowski und der litauischen Staatspräsidentin Gribauskaité standen lange Zeit für jedermann sichtbar auf der Homepage des polnischen Präsidialamtes.
Monika Schulte FamOT