Geistliches Jahresthema 2024
In Tat und Wahrheit!
von P. Jörg Weinbach OT
Geistlicher Assistent der Ballei Deutschland
Am Beginn unserer Ordensgeschichte steht bekanntermaßen der hochherzige Einsatz von Bürgern aus Bremen und Lübeck, die sich 1190 während des Dritten Kreuzzugs am Strand von Akkon der verwundeten und kranken Kreuzfahrer annahmen, indem sie aus den Segeln ihrer Koggen ein Feldspital errichteten. Schon bald entwickelte sich hieraus jene Hos- pitalgemeinschaft, die 1198 in einen Ritterorden umgewandelt wurde, dem neben dem Dienst an den Kranken auch „die Aufgabe zugewiesen“ wurde, „den christlichen Glauben gegen die Feinde Christi zu schirmen.“ (Ordensbuch Prolog 2)
So ist der Deutsche Orden zwar eine Gemeinschaft des gegenseitigen Gebetes – wie ich bei der Vorstellung des letzten geistlichen Jahresthemas „Herr, lehre uns beten!“ versucht habe, zu erläutern –, aber er ist keine kontemplative Gemeinschaft, sondern von Anfang an eine Gemeinschaft der liebenden Tat aus dem Glauben. Eine Gemeinschaft, deren Ideal war und ist, „den hilfsbedürftigen Menschen um Christi willen in selbstloser Liebe zu dienen“. (BR 4) Getragen durch das gegenseitige Gebet, sollen in ihr die Brüder, Schwestern und Familiaren durch Werke der Nächstenliebe ihren Glauben mit Leben erfüllen.
Im Jakobusbrief lesen wir zum Verhältnis von Glauben und Werken: „Wenn ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung sind und ohne das tägliche Brot und einer von euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen - was nützt das? So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat.“ (Jak 2,15–17)
Was nun für den Glauben allgemein gilt, das trifft auch für die Mitgliedschaft im Deutschen Orden zu. Sie darf kein Lippenbekenntnis bleiben und sich nicht auf die Teilnahme an festlichen Gottesdiensten im Ornat beschränken; vielmehr muss sich unsere Zugehörigkeit zum Deutschen Orden in unserem Leben widerspiegelt.
Dementsprechend heißt es in der Brüderregel: „Wie die ersten Brüder des Hospitals Sankt Mariens in Jerusalem der Pflege der Kranken, Pilger und Armen oblagen, so sorgten sich die Ritter und Priester unseres Ordens auch später um die Armen, Siechen und Alten. Daher sollen die Brüder trachten, bei jeder Gelegenheit Werke der Nächstenliebe zu üben und besonders den kranken und vereinsamten Menschen Trost und Hilfe zu leisten. Sie sollen es im Geiste Jesu tun, indem sie im bedürftigen Menschen Jesus selber sehen und ihm in Demut und Hingebung zu dienen suchen.“ (BR 47)
Und die Lebensregel der Schwestern mahnt: „Wir wollen durch unser Sein Zeugnis geben, dass Gott mit uns ist. Seien wir uns bewusst, wir können bewundernswerte Taten
vollbringen, doch zählen werden nur die, die der barmherzigen Liebe Christi in uns entspringen. Am Ende unseres Lebens wird es die Liebe sein, nach der wir beurteilt werden, die Liebe, die wir in uns allmählich haben wachsen und sich entfalten lassen, in Barmherzigkeit für jeden Menschen in der Kirche und in der Welt.“ (LR 67)
Und schließlich folgert das Familiarenstatut hieraus: „Da die Familiaren geistlicherweise zum Orden gehören, dessen Aufgabe es ist, religiöse und karitative Werke zu vollbringen, sollen auch sie selbst diese Werke nach Kräften üben und die Unternehmungen des Ordens fördern.“ (FamSt 5)
Deshalb sind die Werke der Brüder, Schwestern und Familiaren auch nicht nur etwas, das sich in der Außendarstellung unserer Gemeinschaft gut macht, sondern sie gehören zum Kern unseres Ordenslebens in der Tradition des Feldspitals von Akkon. Dies gilt sowohl für das gemeinschaftliche Handeln wie auch für die individuelle Verwirklichung der Ordensmitglied- schaft im Leben des bzw. der Einzelnen. Oder anders gesagt, die Zugehörigkeit zum Deutschen Orden soll in unserem Leben Früchte der Nächstenliebe zeitigen.
So lesen wir im Prolog zum Ordensbuch: „Die Gründung unseres Ordens gab Antwort auf eine konkrete Notlage des Ortes und der Zeit. Die Inspiration, die über dem kleinen und zunächst so zeitgebundenen Beginnen des Ordens lag, erwies sich als Anruf Gottes an Menschen, die bereit sind, in der Nachfolge Christi an seinem Erlösungswerk mitzuarbeiten. Im Vernehmen des göttlichen Anrufes und im demütigen Dienen nehmen sie teil an Christi Heilstat.“ (Ordensbuch Prolog 11)
Diesem Gedanken entspricht auch die Ikone, die das Ordensbuch in der Auflage von 2019 ziert. Wir sehen Jesus als barmherzigen Samariter, der sich des unter die Räuber Gefallenen annimmt. Und im Hintergrund sehen wir das Feldspital von Akkon sowie „Santa Maria Alemannorum“, jenes Spital der Deutschen in Jerusalem, nach dem die Gründerväter von Akkon ihre und unsere Gemeinschaft benannten.
Indem Jesus als Samariter dargestellt wird, kommt es zu einem interessanten Wechsel der Perspektive: Normalerweise sind wir gewohnt, in dem Verwundeten Christus zu sehen und uns in der Rolle dessen, der dem Notleidenden hilft bzw. helfen soll. So wie uns Jesus im Gerichtsgleichnis der Trennung von Schafen und Böcken lehrt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Die Ikone aber lädt uns ein, uns selbst in dem Verwundeten wiederzuerkennen und Christus als den, der uns seine Liebe schenkt. Und gleichzeitig zeigt sie, dass Christus durch uns wirkt, wenn wir barmherzig handeln. So wird deutlich, dass unsere guten Werke eine Antwort auf die Liebe Christi sein sollen, der den Jüngern am Abend vor seinem Leiden aufträgt: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe.“ (Joh 15,12) Und seine Liebe verwirklicht sich in seiner Selbsthingabe am Kreuz zu unserem Heil.
Die Ikone bringt damit den Wesenskern der Mitgliedschaft im Deutschen Orden zum Ausdruck: Wir sollen auf die Liebe Christi antworten, indem wir den Menschen die Liebe Christi durch Taten der Nächstenliebe erfahrbar machen. Nicht nur durch Worte, sondern durch Taten, so wie uns der Apostel und Evangelist Johannes mahnt: „wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit“. (1 Joh 3,18)
Als ersten Impuls für unsere gemeinsamen Betrachtungen zu diesem Thema darf ich Ihnen heute wieder ein kleines Gebet an die Hand geben, dass man auch mit dem täglichen Familiarengebet kombinieren kann:
HERR, LEHRE MICH IN TAT UND WAHREIT ZU LIEBEN
Herr, Jesus Christus, Du menschgewordene Liebe des Vaters,
im Bild des barmherzigen Samariters hast uns gezeigt, was Deine Liebe tut und wie wir Deine Liebe beantworten sollen.
Von dieser Liebe erfüllt, haben unsere Gründer Mitleid mit den Kranken und Verwundeten am Strand von Akkon gehabt, in denen sie Dich erkannten.
Daher haben sie ein Feldspital errichtet, um Dir in den Notleidenden zu dienen
Öffne auch mir die Augen für die vielfältige Not meiner Mitmenschen.
Bewege mein Herz, dass es von Mitleid entbrennt.
Lass nicht zu, dass ich mich abwende, wenn Not und Unrecht meinen Nächsten bedrücken, sondern schenke mir den Mut, ihm beizustehen.
Sei Du selbst meine Kraft und Stärke, wenn ich mich der Bedrückten annehme, und lass sie durch mich Deine Liebe erfahren.
Herr, Jesus Christus, Du menschgewordene Liebe des Vaters,
vergib mir, was ich an Liebe und Hingabe schuldig geblieben bin, und lehre mich, nicht nur mit Wort und Zunge, sondern in Tat und Wahrheit zu lieben.
Amen!