Tagung „Die Archive des Deutschen Ordens“
Alle zwei Jahre führt die Internationale Historische Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens ( IHKEDO) eine Tagung durch. Diesmal trafen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Berlin. Sie wurde mit Unterstützung des Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz und der FU Berlin in Berlin Dahlem durchgeführt. Ein Empfang beim Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Parzinger in der Villa von der Heyd in Berlin Mitte konnte ebenfalls organisiert werden. Der Präsident sprach sich sehr wohlwollend über die Arbeit der Kommission sowie über die Internationalität der Gruppe – es konnten Teilnehmer von Israel bis Estland und Schweden begrüßt werden – aus.
Eine Führung durch das Geheime Staatsarchiv wurde von Dr. Johannes Götz und weiteren Mitarbeitern nach der Begrüßung durch die Archivdirektorin Ulrike Höroldt durchgeführt: Ausstellung „Auch Geheime Archive sehnen sich nach Licht – 100 Jahre Geheimes Staatsarchiv in Dahlem“, ferner Ansicht ausgewählter Exponate zur Geschichte des Deutschen Ordens, Blick in die Restaurierungsabteilung, Unterbringung des Ordensbriefarchiv und anderes mehr.
Die Zerstreuung der Archivalien des Hochmeisters und des Deutschmeisters sowie der einzelnen Balleien ist ein Produkt einer vielfältigen und komplexen Geschichte. Lediglich die Ballei Utrecht konnten ihren Archivalienbestand ab 1200 über die Jahrhunderte nahezu ohne Verluste bewahren. Dies bleibt eine große Ausnahme.
Schon die Frage, ob es im 13. Jahrhundert in Akkon eine Art Zentralarchiv des Ordens gab und ob dies nach dem Verlust des Heiligen Landes (vollständig?) nach Venedig kam, kann weder qualitativ noch quantitativ beantwortet werden. Ein gewisses Archivgut blieb in Venedig bis heute, jedoch hat das dortige Staatsarchiv nicht nur Quellengut aus Akkon, sondern auch des Hochmeisters während seiner Zeit in der Lagunenstadt, sowie der Ballei Lamparten und der Kommende Venedig. Der weitere Weg der Archivalien auf die Marienburg, nach Königsberg und Labiau sowie anschließend nach Mergentheim muss zwangsläufig Verluste nach sich geführt haben. Einen interessanten Einblick konnte etwa für das livländische Archivgut gegeben werden, das in den 1620er Jahren nach Schweden kam.
Die Referentinnen und Referenten konnten viel Neues in ihren Untersuchungen auffinden. Dazu gehörte die spektakuläre Vidimierungsaktion in Akkon im September/Oktober 1277, wo 19 Papsturkunden vervielfältigt wurden. Von diesen insgesamt 88 Transsumpten für die Balleien nördlich der Alpen können bis heute viele in verschiedenen Archiven aufgefunden werden. Intensiv wurde das Güterverzeichnis des Ordens im Heiligen Land um das Castellum Regis in Galiläa erneut einer Prüfung unterzogen wie auch die unterschiedlichen Exemplare der sog. Goldbulle von Rimini und ihre umstrittene Datierung.
Kontrovers diskutiert wurde die Lokalisierung von Kanzlei und Archiv auf der Marienburg sowie in anderen Kommenden. Letztlich wird die Frage in den Einzelfällen nur hypothetisch beantwortet werden können, wo sich die in den Quellen meist als „Gewölb“ bzw. „Briefkammer“ angesprochenen Räume kaum mehr lokalisieren lassen. Dies gilt etwa auch für den Deutschmeistersitz auf der Horneck. Insgesamt muss eine Unterscheidung zwischen den Kanzleien und Archiven des Hoch- und des Deutschmeisters gemacht werden, wo wir sicherlich derartige Räume vorfinden, auf den einzelnen Kommenden allerdings dürfte es aber völlig anders gewesen sein. Kanzlei und Schreibstube des Komturs bzw. seines Schreibers lassen sich dort wohl selten als eigenständig nachweisen, das Archiv reduzierte sich meist auf einen Schrank oder eine Kiste.
Intensive Quellenforschungen zeigen am Beispiel der Horneck auch, dass von einer vollständigen Zerstörung dieses Archivs im Zuge des Bauernkriegs nicht mehr ausgegangen werden kann. Der Kanzler des Hochmeisters, Gregor Spieß, spricht vom Totalverlust in seiner Deutschmeisterchronik, relativiert dies aber in der Briefkorrespondenz erheblich. Damit wird, en passant, das Thema von Archivzerstörungen durch kriegerische Gewalt angesprochen, die im Bauernkrieg wie etwa auch im Dreißigjährigen Krieg zum großen Thema werden. Hier spielten auch die „Überführungen“ von Archivgut nach Schweden eine erhebliche Rolle.
Abschriftenfunde lassen immer wieder wunderbare Entdeckungen zu. Dazu gehört das zweite Zinsbuch der Kommende Marienburg (entstanden wohl um 1404), das auf diesem Wege wiederentdeckt wurde und umfangreiche Einblicke in die Grundherrschaft des Ordens zulässt. Akten aus der Marienberger Kanzlei lassen sich bei den Empfängern desselben Schriftgutes finden. Beispielhaft wurden hier die preußischen Städte Thorn, Danzig und Elbing vorgestellt. Interessante Funde in den Archiven der Empfänger, etwa bei den Städten Lübeck oder Tallinn, aber auch der Blick auf ein Briefregest von 191 Stücken, das sich nunmehr in Vilnius befindet, erweitern das Bild der Ordensaktivitäten erheblich. Auch die Sammlungs- und Abschriftentätigkeiten von Ordensarchivaren in der Frühen Neuzeit müssen herangezogen werden, weil sich darunter Informationen befinden, die sich original nicht mehr erhalten haben. Freilich muss mit Interpretationen vorsichtig umgegangen werden.
Makulaturen in Trägerbänden, meist als Einbände von Urbaren, Rechnungsbüchern und Steuerregistern auffindbar, weisen auf das umfangreiche liturgische und theologische Schriftgut bzw. auf juristische Bände hin, die sich in den Bibliotheken der einzelnen Kommenden befunden haben müssen. Ein geschlossenes Bücherverzeichnis lässt sich damit freilich nicht rekonstruieren, da weitgehend unbekannt bleibt, wie die Makulaturen zu den einzelnen Buchbindern kamen, und nach welchen Kriterien diese ihre Auswahl bei der Bearbeitung vornahmen.
Einen umgekehrten Weg zeigte sich bei den beim Adel beliebten Preußenfahrten. Dabei müssen die jeweiligen Adelsarchive konsultiert werden. Sie geben, besonders in einer vergleichenden Auswertung, einen faszinierenden Einblick in Vorbereitung und Ablauf einer Preußenfahrt, besonders wenn es um die Finanzierung, die Abfassung von Geleitbriefen und Empfehlungen ging, aber auch um im Vorfeld der Reise erstellte Testamente.
Heute liegen die zentralen Bestände des Ordens im Geheimen Staatsarchiv (besonders seine 20. Hauptabteilung aus dem ehemaligen Provinzarchiv Ostpreußen aus Königsberg: Pergamenturkunden, Ordensbriefarchiv, Ordensfolianten sind von unschätzbarem Wert!), womit der Tagungsort wohl gewählt erscheint, sowie im Deutschordenszentralarchiv in Wien. Aber es bedarf der Einbeziehung von etwa 25 Staatsarchiven (von lokalen Archiven gar nicht zu reden), welche die Geschichte der Einzelkommenden beleuchtet.
Die nächste Tagung der IHKEDO ist für den 17. bis 20. September 2026 in Ljubljana geplant.
Prof. Dr. Helmut Flachenecker FamOT
Präsident der IHKEDO